Licht und Schatten in der Position der Parteien zum Nordseeschutz

»Es gibt gute Ansätze, aber offen gestanden hatten wir uns ein stärkeres Bekenntnis der politischen Parteien zum Nordseeschutz erhofft«, erklärte Dieter Harrsen am Dienstag (3. September 2013) bei einer Pressekonferenz in Hamburg. Sechs Fragen zu aktuellen Nordsee-themen hatte der Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste (SDN) den Spitzenkandidatinnen und -kandidaten von CDU, SPD, FDP, Bündnis90/DieGrünen und DIE LINKE in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Bremen zur Bundestagswahl 2013 vorgelegt. Alle Angeschriebenen reichten den Fragenkatalog zur Beantwortung an ihre Parteizentralen oder Bundestagsfraktionen weiter.

Die SDN ist ein kommunaler Umweltverband, dem zahlreiche Kreise, Städte und Gemeinden sowie Vereine und andere Institutionen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen angehören. Damit ist die SDN auch Anwalt für die Belange der Küstenbevölkerung beim Thema Schutz und Nutzen der Nordsee.

Wahlprüfstein Nr. 1: Küstenwache

Ganz besonders liegt den Nordseeschützern die Einrichtung einer Deutschen Küstenwache am Herzen. »Seit über 40 Jahren diskutieren wir über die Notwendigkeit, alle seegehenden Überwachungskräfte, also die an der Nordsee stationierten Schiffe von 15 deutschen Behörden und Ämtern, in einer Deutschen Küstenwache zusammenzufassen, zu der auch das Havariekommando in Cuxhaven gehören muss«, erläuterte Hans von Wecheln. Er leitet die Arbeitsgruppe Küstenwache der SDN. Er begrüßt das uneingeschränkte Ja der FDP zur Küstenwache. Auch die Grünen und die Linke tendieren in diese Richtung. Beide betonen die erforderliche enge Abstimmung mit den europäischen Partnern, die Linke spricht sich für eine europäische statt einer nationalen Küstenwache aus. »Diese Parteien haben zumindest das Problem erkannt«, analysiert von Wecheln. Leider seien CDU und SPD – beide haben in früheren Jahren in Anträgen an den Bundestag beziehungsweise in einem Koalitionsvertrag die Schaffung der Küstenwache gefordert – von dieser Erkenntnis noch weit entfernt, sondern forderten weitere Prüfungen durch die beteiligten Bundesbehörden.

»Dabei sind es ja gerade diese Behörden, die die Zusammenfassung der Flotte bisher immer verhindert haben. Es ist bedauerlich, dass diese Verzögerungstaktik immer noch von der Politik unterstützt wird«, kritisiert SDN-Vorsitzender Dieter Harrsen, im Hauptberuf Landrat des Kreises Nordfriesland. Die SDN werde sich weiterhin für die Schaffung einer nationalen Küstenwache einsetzen, die auch als Vorstufe einer europäischen Einrichtung gesehen werden müsse. »Nach der Havarie der Pallas vor 15 Jahren bestand über alle Ebenen hinweg Einigkeit, dass eine einheitlich geführte Küstenwache unbedingt erforderlich ist«, erinnert sich Hans von Wecheln. Zwar begrüßt die SDN, dass im Maritimen Sicherheitszentrum, dessen Neubau in Cuxhaven voraussichtlich Ende 2014 fertig gestellt wird, im Gemeinsamen Lagezentrum See eine Bundesleitstelle aller auf See tätigen Bundesbehörden eingerichtet worden ist. Doch die Strukturen wurden nicht geändert, jede Behörde ist nach wie vor mit eigenen Zuständigkeiten und Verantwortungen tätig. Von einer einheitlichen Führung einer Deutschen Küstenwache ist man immer noch weit entfernt.

Wahlprüfstein Nr. 2: Schiffssicherheit

Eine weitere Sorge der SDN gilt der Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs, die durch die zahlreichen geplanten und teils bereits im Bau befindlichen Windparks in der Nordsee gefährdet wird: Wo Windmühlen stehen, können keine Schiffe mehr fahren. »Die Schifffahrts-wege werden schmaler, und der Verkehr wird durch die derzeitige

Planung konzentriert werden. Für den kreuzenden Verkehr an den zahlreichen Schnittpunkten der geplanten Wegführung sind bei Ausweichmanövern die notwendigen Manövrierräume teils zu klein und die Wege zu schmal. Damit steigt die Havariegefahr ganz erheblich«, erklärte SDN-Vorstandsmitglied Rudolf-Eugen Kelch. Das gelte gleichermaßen für querende Verkehre aus den für Windkraftanlagen vorgesehenen Gebieten. Die SDN fordert ausgeweitete Vorrangflächen für die Schifffahrt, einen größeren Mindestabstand von Windkraftanlagen, den Erlass eindeutiger Kollisionsverhütungsregeln sowie die Ausweitung der behördlichen Radarüberwachung.

Am deutlichsten stellt sich die Linke hinter die klar formulierten Forderungen der SDN. Auch die anderen Parteien erkennen die Bedeutung des Themas, skizzieren aber teils unterschiedliche Herangehensweisen. So will die CDU bis Ende des Jahres ein »Rahmenkonzept Offshore-Windenergie« in Kraft setzen, das in seinem derzeitigen Entwurf allerdings nur von Möglichkeiten der Verbesserung des Schiffsverkehrs spricht, ohne klare Rahmenbedingungen zu setzen. Die Grünen treten für eine stetige Anpassung des vorhandenen »Sicherheitskonzeptes Deutsche Küste« ein.

»Positiv ist festzustellen, dass das Problem von allen erkannt wurde«, resümierte Rudolf-Eugen Kelch. »Die SDN wird versuchen, mehr Fachwissen in die Diskussion zu bringen, indem wir alle Küstenpolitiker einladen, eine sehr eindrucksvolle Darstellung der Sachlage im Schifffahrtssimulator des Nautischen Instituts der FH Flensburg zu besichtigen und danach mit Experten zu diskutieren.« Die SDN hatte die technisch anspruchsvolle Simulation des Verhaltens riesiger Frachtschiffe auf engen Wasserstraßen zwischen Windparks an der FH angeregt.

Wahlprüfstein Nr. 3: Notschleppkonzept

Die dritte Frage der SDN an die Parteien galt der Stationierung eines vierten Notschleppers in der Deutschen Bucht in der Nähe von Sylt. »Die vorhandenen Schlepper liegen alle im südwestlichen Bereich der Deutschen Bucht. Bei einer Havarie vor der nordfriesischen Küste können sie erst nach deutlich mehr als zwei Stunden vor Ort sein. Diese Reaktionszeit ist einfach zu lang«, stellte Hans-Jürgen Bootsmann-Gäbler fest.

Deshalb hält der Kapitän und Seelotse einen weiteren Notschlepper aus nautischer Sicht für dringend geboten – trotz eines Verweises der CDU auf den fehlenden finanziellen Spielraum. Damit steht die SDN auch im Gegensatz zur SPD, die die vorhandenen Kapazitäten für ausreichend hält und ansonsten auf »bilaterale Abkommen mit den Nachbarstaaten« setzt. »In Dänemark chartert der Staat im Bedarfsfall einen privaten Notschlepper. Um ihn einsetzen zu können, müssten die beiden Staaten erst einmal Vertragsverhandlungen aufnehmen«, gibt Bootsmann-Gäbler zu bedenken. Er regt an, eine finanzielle und betriebliche Beteiligung der Windparkbetreiber an einem vierten Notschlepper zu prüfen.

Die Grünen haben zwar erkannt, dass an der Nordflanke eine Sicherheitslücke existiert. Eine klare Aussage zugunsten eines vierten Schleppers machen sie indes nicht. Ähnlich äußert sich die FDP, die mit Verweis auf die Kosten »andere Optionen« prüfen will, ohne sie näher zu benennen. Die Linke hingegen spricht sich für einen weiteren Schlepper aus und legt Wert darauf, dass er vom Staat selbst und nicht von Privaten bereedert wird.

Wahlprüfstein Nr. 4: Abfallentsorgung

Die vierte Frage der SDN galt der Abfallentsorgung in den Häfen: Trotz einschlägiger Vorschriften gelangen auch aus der Seefahrt noch immer zu viele Abfälle in die See – mit verheerenden Folgen für die Öko-systeme der Meere. Ein Grund ist die nicht ausreichende Überwachung der Schiffe in den Häfen und die mit wenigen Ausnahmen kostenpflichtige Entsorgung in den Häfen. Deshalb regte die SDN eine Initiative des Bundes gegenüber den Küstenländern dafür an, dass die Müllentsorgungsgebühren zu 100 Prozent in die Liegegebühren integriert werden und sichergestellt wird, dass Schiffe die Häfen nur mit entleerten Müll-Lagern verlassen dürfen.

Die CDU verweist schlicht auf die Zuständigkeit der Länder. »Dass der Bund nicht zuständig ist, wussten wir auch vorher«, merkte SDN-Vorsitzender Harrsen trocken an. »Uns geht es ja nur um eine politische Initiative, die der Bund entfalten soll.« Umso mehr freut er sich über die Bereitschaft von Grünen, FDP und Linken, sich entsprechend einzusetzen. Auch die SPD liegt auf der Linie der SDN, schreibt aber kein Wort über ihre Bereitschaft, politisch initiativ zu werden.

Wahlprüfstein Nr. 5: Abfalldumpingverbot

Manche Müllarten dürfen auch heute noch in die Meere entsorgt werden. In der Nordsee selbst ist das zwar verboten, doch gelangen Ab-fälle aus anderen Meeren auch bis an die deutschen Küsten, darunter tausende Tonnen Plastikmüll. »Plastikmüll ins Meer zu kippen, ist weltweit verboten. Aber das heißt nicht, dass die anderen Müllarten, deren Verklappung erlaubt ist, nicht mit Plastik durchmischt sein können«, weiß Rudolf-Eugen Kelch. Deshalb fragte die SDN die Haltung der Parteien zu einem weltweiten, kompletten Verbot der Einleitung jeglicher Abfälle in die Meere ab.

SPD, Grüne, FDP und Linke sind bereit, sich in diesem Sinne gegenüber der Welt-Meeres-Behörde IMO einzusetzen. »Die FDP verweist zu Recht darauf, dass dies ein langsamer und mühsamer Prozess sein wird, aber es ist leider die einzige Möglichkeit, die es gibt«, sagte Kelch. Unbefriedigend bleibt für ihn die Antwort der CDU, die schlicht darauf hinweist, dass es bereits ein Plastikmüllverbot gibt, und keine weiteren Aktivitäten für erforderlich zu halten scheint.

Wahlprüfstein Nr. 6: Notfallvorsorge

Im letzten »Wahlprüfstein« greift die SDN die Notfallvorsorge auf Offshore-Windfarmen auf: Obwohl die Arbeitgeber verpflichtet sind, die medizinische Notversorgung einschließlich Bergung und Transport ihrer Mitarbeiter bei Unfällen sicherzustellen, planen staatliche Stellen, parallel einen öffentlichen Rettungsdienst aufzubauen – ein für den Steuerzahler teures Vorhaben, das der Bund durch die exakte Festlegung der Zuständigkeiten verhindern sollte.

Grüne, FDP, SPD sprechen sich – bei teils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung – dafür aus, dass die Verantwortung für die Notfallvorsorge bei den Arbeitgebern bleibt. Auch die Linke will die Arbeitgeber nicht aus der finanziellen Beteiligung entlassen, sieht aber daneben Ansätze für eine Verantwortung des Staates. Die CDU propagiert eine »maritime Sicherheitspartnerschaft«, die der private und der öffentliche Sektor gemeinsam an einem runden Tisch erarbeiten sollen.

»Manche Antworten stimmen uns hoffnungsvoll, andere zeigen, dass es weiterhin dicke Bretter zu bohren gilt«, fasste SDN-Vorsitzender Dieter Harrsen die Reaktion der SDN auf die Antworten der Parteien zusammen. Er verspricht, dass die SDN auch weiterhin eine Vorkämpferin für den Nordseeschutz bleibt.

Text als PDF-Datei: PM 13-09-03 Wahlprüfsteine Ergebnis

Nordsee-Windparks bedrohen die Schifffahrt – SDN fordert Raumordnungsplan

»Beim Ausbau der Offshore-Windenergieparks darf die Bundesregierung die Sicherheit der Schifffahrt nicht aus dem Auge verlieren«, fordert die Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste. Der Vorsitzende des kommunalen Umweltverbandes, der nordfriesische Landrat Dieter Harrsen, weist darauf hin, dass die Deutsche Bucht schon heute das am dichtesten befahrene Seegebiet der Welt ist. Die neun geplanten und teils im Bau befindlichen Windparks führen dazu, dass der Schiffsverkehr künftig noch stärker auf sehr schmale Bereiche konzentriert werden wird.

Auf See gilt grundsätzlich rechts vor links. Nach derzeitigem Planungsstand müssen also riesige Containerfrachter einem kleinen Schiff ausweichen, das von rechts aus einem Windpark heraus in eine enge Wasserstraße hineinfährt. »Bei einer Stoppstrecke von bis zu zwei Kilometern kann das gar nicht funktionieren: Entweder weicht das Containerschiff nach steuerbord aus und rammt eine Windmühle, oder es weicht nach backbord aus und fährt in den Gegenverkehr, oder es behält seinen Kurs bei und kollidiert mit dem kleineren Schiff«, erläutert Harrsen. Er fordert von der Bundesregierung, spezielle Verkehrsregelungen vorzusehen, die dies verhindern.

Trotz zahlreicher Gespräche mit Vertretern der verantwortlichen Bundesbehörden gehe die Bundesregierung die deutlich erkennbaren Probleme nicht entschlossen genug an, stellt Harrsen fest: Für die Nordsee müsse ein Raumordnungsplan erarbeitet werden, in dessen Zentrum neben der Energiewende die Verbesserung der Schiffssicherheit steht. Der Plan müsse Vorrangflächen für die Genehmigung von Meereswindfarmen sowie Korridore für die Schifffahrt ausweisen. »Bisher will der Bund die Schiffe in diesen Korridoren kreuz und quer fahren lassen. Viele Nautiker bezeichnen dieses als gefährlichen Leichtsinn«, warnt Dieter Harrsen.

Er fordert die Einrichtung eines Verkehrstrennungsgebietes nach Regel 10 der Kollisionsverhütungsregeln, also eine Art Autobahn mit getrennten Fahrspuren und einer Trennzone in der Mitte, die nicht befahren werden darf. In einem solchen Gebiet dürfen einbiegende kleinere Fahrzeuge die größeren nicht zum Ausweichen zwingen.

Ergänzend fordert die SDN die Ausweitung des bestehenden Lotswesens unter staatlicher Aufsicht und dass die Erfordernisse der Schifffahrt bei der Festlegung der Windpark-Grenzen berücksichtigt werden – auch dies müsse im Raumordnungsplan geregelt werden.

Bei allem Respekt vor dem Havariekommando vertritt die SDN die Auffassung, dass Havarievermeidung vor Havariemanagement gehen sollte. »Auch in diesem Bereich stellen wir im Interesse von Natur und Wirtschaft klare Forderungen an den Bund«, sagt Harrsen: So müsse die staatliche Radar-Überwachung des Seeraums durch Verkehrszentralen wesentlich ausgebaut werden und die Information der Schifffahrt per Funk verbessert werden. Auch das Notschleppkonzept decke die gestiegene Gefährdungslage nicht mehr ab.

Im Namen der SDN hat Dieter Harrsen den verantwortlichen Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, zu einem Gespräch mit gestandenen Praktikern eingeladen. »Sowohl die Nautiker als auch die Verwaltungschefs in der SDN erkennen die Gefahren, die unsere Küste bedrohen, weil die Bundesregierung die ständig zunehmende Gefährdungslage unterschätzt. In einem Gespräch mit dem Minister kommen wir sicherlich ein großes Stück voran«, erwartet Harrsen.

Text als PDF-Datei: PM 13-04-11 Nordsee-Windparks bedrohen die Schifffahrt